Friedensnobelpreis 1903: William Randall Cremer

Friedensnobelpreis 1903: William Randall Cremer
Friedensnobelpreis 1903: William Randall Cremer
 
Der englische Gewerkschafter erhielt den Friedensnobelpreis für seine Verdienste um die internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
 
 
Sir (seit 1907) William Randall Cremer, * Fareham (Hampshire) 18. 3. 1838, ✝ London 22. 7. 1908; 1859 Mitbegründer der Vereinigten Gewerkschaft der Zimmerleute und Tischler, 1870 Mitbegründer der »Workmen's Peace Association« (seit 1875 »International Arbitration League«), 1885-95 und 1900-08 Mitglied des Parlaments, 1889 Gründung der »Interparlamentarischen Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit«.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Im Jahr 1889 wurde in Paris die »Interparlamentarische Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit« ins Leben gerufen. Das Ziel der Abgeordneten verschiedener Länder, die sich in dieser Vereinigung zusammenschlossen, war es, die Regierungen zu friedlichen Lösungen von zwischenstaatlichen Konflikten zu bewegen. Zu den Gründern zählte der damals 51-jährige Engländer William R. Cremer. Die Union war für ihn der vorläufige Höhepunkt eines Lebenswerks, das ganz im Dienst von Frieden und Verständigung stand. Für diese Leistung zeichnete ihn das Komitee im Jahr 1903 mit dem Friedensnobelpreis aus.
 
Einmal eine solch herausragende öffentliche Rolle zu spielen, war Cremer nicht in die Wiege gelegt worden. Er stammte aus einfachen Verhältnissen und verdiente sich seinen Lebensunterhalt zunächst als Zimmermann in London. Gleichzeitig hatte er aber ein waches Auge für die Probleme der Arbeiterschaft. Die industrielle Revolution hatte die sozialen Verhältnisse grundlegend verändert. Viele Arbeiter lebten am Rande des Existenzminimums, während die Geschäfte der Fabrikanten und der Industriellen florierten. Schon früh engagierte sich der junge Cremer in der englischen Gewerkschaftsbewegung. Bald rückte er in die erste Reihe der Arbeiterführer vor und vertrat vehement die Forderung nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen. 1860 wurde er zum Mitbegründer der Vereinigten Gewerkschaft der Zimmerleute und Tischler.
 
 Arbeiterführer und Pazifist
 
Seine ersten Schritte auf internationalem Parkett unternahm Cremer vier Jahre später mit der Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation, deren englische Sektion er leitete. Während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-65) unterstützte er mit einer massiven Protestaktion — gegen die Linie der englischen Regierung — die Nordstaaten im Kampf gegen die Sklaverei, was ihm in den USA große Sympathien einbrachte.
 
Durch diese Beschäftigung mit der internationalen Politik vollzog sich bei Cremer eine Wandlung vom reinen Arbeiterführer zum erklärten Pazifisten. Gleichwohl blieb Cremer seiner Herkunft treu und ging die Friedensfrage aus der Sicht des Arbeiters an. So war er von der Überzeugung geleitet, das Erfolgsrezept im Umgang der englischen Gewerkschaften mit den Unternehmern auf das Gebiet der Außenpolitik übertragen zu können. Nicht Streit, Konflikt und Krieg, sondern Verhandlungen und Schiedsgerichte, wie bei der Schlichtung von Arbeitskämpfen inzwischen üblich, sah Cremer als die geeigneten Instrumente im Verkehr der Staaten untereinander an.
 
Auf verschiedenen Auslandsreisen versuchte der Gewerkschaftsführer und Arbeitervertreter für seine Friedensidee zu werben. Eine erste Bewährungsprobe lieferte der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Unter allen Umständen wollte Cremer einen Eintritt Englands in diesen Krieg verhindern. Eigens zu diesem Zweck gründete er eine neue Organisation: die »Workmen's Peace Association« (WPA), eine Vereinigung von Arbeitern zur Bewahrung und Herstellung von Frieden, 1875 umbenannt in »International Arbitration League« (Internationale Liga für Schiedsgerichtsbarkeit). In dieser Bezeichnung spiegelt sich eine erweiterte Zielsetzung wider: Neutrale Schiedsgerichte sollten sich um die Lösung zwischenstaatlicher Konflikte kümmern. Cremer wurde der erste Generalsekretär der Gesellschaft und behielt dieses Amt bis zu seinem Lebensende inne.
 
 Aufstieg zum Parlamentarier und in den Adelsstand
 
Nach zehn weiteren Jahren unermüdlicher Arbeit für seine pazifistischen Ideale gelang Cremer ein neuer großer Schritt auf der Karriereleiter: Er wurde, für seine Herkunft ungewöhnlich genug, zum Mitglied des britischen Parlaments (House of Commons) gewählt. Nun bot sich dem engagierten Friedensstreiter eine neue Plattform der öffentlichen Wirksamkeit, die er ausgiebig nutzte.
 
Ein Glücksfall war die Bekanntschaft mit dem amerikanischen Industriellen Andrew Carnegie. Der Arbeiter und der schwerreiche Unternehmer bestärkten sich gegenseitig in der Überzeugung, eine dauerhafte friedliche Verbindung zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika herstellen zu müssen. Eine entsprechende Resolution fand die Unterstützung von 200 Mitgliedern des englischen Parlaments. Carnegie ließ seine Verbindungen spielen und verschaffte Cremer einen Termin beim amerikanischen Präsidenten Grover Cleveland, der sich von Cremers Idee sehr angetan zeigte.
 
Eine Reise nach Paris im Jahr 1888 diente dem Ziel, eine friedliche Koalition zwischen England und den USA unter Einbeziehung Frankreichs herzustellen. Wieder fand Cremer einen prominenten Fürsprecher und Helfer, diesmal in Frédéric Passy, dem Führer der französischen Friedensbewegung (Nobelpreis 1901). Ein Jahr später kam es auf Initiative von Passy und Cremer zur Gründung der Interparlamentarischen Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit. In der Folgezeit entfaltete die Organisation vielfältige Aktivitäten im Dienst des internationalen Friedens. Der Erfolg blieb nicht aus. Auf Anregung und Vermittlung der Interparlamentarischen Union kamen in den Jahren nach ihrer Gründung einige Schiedsgerichtsverträge zwischen einzelnen Staaten zustande.
 
Zwei Jahre nach seinem französischen Mitstreiter Passy erhielt William Cremer aufgrund seiner Verdienste um den internationalen Frieden den Friedensnobelpreis. 1907 folgte eine weitere hohe Ehrung: Der englische König Edward VII. ernannte ihn zum Ritter, und Cremer war künftig Sir William Randall Cremer. Zur Ruhe setzen konnte sich der umtriebige Pazifist nicht. Als er 1908 an einer Lungenentzündung starb, hatte er noch jene wichtigen Ämter und Funktionen inne, die ihm im Lauf seiner langen öffentlichen Wirksamkeit für den Frieden übertragen worden waren.
 
Den Krieg als Mittel der Politik hat Cremer nicht aus der Welt schaffen können. Und doch hat er viel bewegt. Zahlreiche Konflikte konnten durch Verhandlungen entschärft oder beigelegt werden. An der Freundschaft zwischen England und den USA hat Cremer einen großen Anteil. Die 1899 erfolgte Einrichtung des Ständigen Internationalen Schiedsgerichtshofs in Den Haag war auch eine Konsequenz der beharrlichen Bemühungen Cremers und seiner Kollegen. Und große Verdienste Cremers bestehen darin, ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, dass wesentliche Friedensimpulse auch von der Arbeiterschaft ausgehen können. Insofern führt vom Friedensnobelpreisträger des Jahres 1903 eine direkte Linie zu Lech Walesa, dem Preisträger von 1983.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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